Der Atem des Jägers (Deon Meyer)

(c) Grimm-Design, Düsseldorf

Autor: Deon Meyer
Titel: Der Atem des Jägers
Übersetzer: Ulrich Hoffmann
Verlag: atb
Erscheinungsdatum: 2007 (Gebundene Ausgabe)
Seitenzahl: 428
Originaltitel: Infanta
ISBN-10: 3352007462
ISBN-13: 978-3352007460

Rezension:

„Der Atem des Jägers“ von Deon Meyer ist ein Kriminalroman aus dem Jahr 2007, in dem einige facettenreiche, sowie emotional brisante Mordfälle zu einem Gesamtwerk geschnürt werden, dass für einen Westeuropäer durchaus als harte oder auch unverständliche Kost bezeichnet werden kann und bei welchem der südafrikanische Autor, der seine Romane grundsätzlich in seiner Muttersprache Afrikaans verfasst, als Abbild der Sprachpluralität des Landes immer wieder Dialoge auf Englisch oder in Xhosa und Zulu einflechten lässt.

In der Handlung treten primär zwei Hauptakteure auf: Zum einen Thobela Mpayipheli, Angehöriger des Xhosa-Volks und völlig entgegengesetzt zu seinen „hühnenhaften“ Körpermaßen mit dem Spitznamen „Tiny“ belegt, zum anderen Detective Inspector Benny Griessel, langgedienter und bester Veteran des Polizeidienstes, der schwer mit seinem Alkoholismus und daraus resultierenden familiären Problemen zu kämpfen hat. Außerdem begleitet den Leser noch Christine van Rooyen, eine Edelprostituierte mit einer Tochter, deren Vater ein südafrikanischer Soldat in den diversen Kriegen der Region war und nach seinem Dienst einen streng konservativen christlich geprägten Lebenswandel einforderte, durch das Buch. Sie fungiert teilweise gar als Erzählerin der Geschichte, indem sie eine Art Beichte im Wohnhaus eines Pfarrers preisgibt.

Verbindet man nur wenig mit dem Begriff der „Apartheid“ und der Geschichte des 20. Jahrhunderts, so findet man vermutlich kaum einen Zugang zu dem Werk, denn bereits am Anfang wird die in Südafrika ehemals gesetzliche Rassentrennung und der Konflikt der politischen Systeme aus dem Kalten Krieg thematisiert. Dies zeichnet sich zum Beispiel dadurch ab, dass „Tiny“ Mpayipheli ein Söldner für sozialistische Machthaber gewesen ist, der als Geheimagent in Europa mehrere politische Morde verübt hat und zur Handlungszeit des Romans einen guten Absprung ins Zivilleben als Landbesitzer fand.
Ebenso legt Benny einige wehmütig wirkende Erinnerungen an frühere, sozusagen robustere, Ermittlungsmethoden an den Tag, die nach modernem Verständnis Folter sind, ‘relativiert’ das ganze aber gleich wieder, weil der Alkoholismus Griessels direkt durch die miterlebten zwischenmenschlichen Gräuel bedingt scheint.

»Damals [zur Zeit der Apartheid] war das Kriminalgesetzbuch eine vage Anordnung von Ratschlägen, die sie zum Einsatz brachten, wie es ihnen passte. Jetzt [...] und wenn man einem Gangstar nicht seine Recht vorlas, bevor man ihn verhaftete, dann warf das Gericht den ganzen Fall gleich wieder raus.
Aber das gehörte zum System, und das System sorgte für Ordnung, und das war gut so.«

Zusätzlich klingt im Buch noch ein deutlicher Fatalismus ob der weit verbreiteten, auch sexualisierten, Gewalt in der Gesellschaft und der Unfähigkeit des Justizsystems, für Schutz zu sorgen, durch.

Die beiden Hauptfiguren mit ihrer narbenreichen Vergangenheit werden auf das Spielfeld des Tafelbergs gesetzt und während Griessel mithilfe der Anonymen Alkoholiker um seine Familie kämpft, tritt Thobela Mpayipheli, nachdem er seinen geliebten acht Jahre alten Ziehsohn Pakamile durch die Schüsse zweier flüchtiger Tankstellenräuber verlor und die Täter sogar in einer späteren Gerichtsverhandlung freigesprochen wurden, aus seinen persönlichen Lebenswendepunkt mit einem traditionellen Zulu-Speer bewaffnet und den Decknamen „Artemis“ wieder hervor. Fortan jagt er der staatlichen Justiz „entkommene“ Kinderschänder.
Das Thema der Selbstjustiz begleitet den Leser bis zu den letzten Seiten des Romans und bleibt damit bei einer spannungsgeladenen, dafür aber auch sehr lebensnahen Darstellung dieser zwischenmenschlichen Emotion, die zumindest im Buch sogar bis hin zur Forderung der Wiedereinführung der Todesstrafe reicht.

So verweben sich im Verlauf der Geschichte die Handlungen um Thobela Mpayipheli und Benny Griessel miteinander, denn der Ermittler begibt sich auf die Fährte von Artemis. Auch knotet sich der Lebensweg von Christine van Rooyen in dieses Geflecht mit ein, da die verzweifelte Frau zur Fallbeteiligten wird, welche der Erzählung mehr als nur eine überraschende Wendung verleiht.
Schlussendlich kommt es sogar zu einer, mehr oder weniger unfreiwilligen, Zusammenarbeit der zwei eigentlichen Kontrahenten, bei der auch Griessel erfährt, dass selbst der klügste Geist nicht vor Selbstjustiz gefeit ist – es bedarf nur des richtigen Motivs.

Meiner Meinung nach, liegen gerade am Ende des Werks die positiven, als auch negativen Aspekte desselben nah beieinander. Zugegeben schildert Deon Meyer ohne nötigten Voyeurismus eindrucksvoll die Schere der dargestellten Gesellschaft, dabei bleibt jedoch eine vermutlich unvermeidliche Portion Fatalismus nicht aus. Die moralische Ambivalenz seiner Figuren kommt dem zwar ebenfalls zugute, wenngleich er, man mag vielleicht sagen, glücklicherweise, auf ein völlig offenes Ende verzichtet und seinen Helden dafür einen mit verhaltenem Optimismus gangbaren Weg in die Zukunft gezeigt hat. Ferner mag einem als Westeuropäer die nahezu völlig ausgeklammerten Emotionen von Gewaltopfern, insbesondere einer mehrfach vergewaltigten Achtzehnjährigen, irritieren. Hier und an anderen Stellen hat sich Meyer wenig mit einer eigentlich wünschenswerten emotionalen Tiefe befasst.

Dennoch ist dieser Kriminalroman mit seiner Zeichnung einer Gesellschaft voller Risse und Spannungen ein abgerundetes, wenngleich streckenweise zäh zu lesendes Buch, das einige Vorkenntnisse im Bereich der jüngeren Geschichte benötigt, um alle biografischen Implikationen komplett nachvollziehen zu können. Also eher eine spezielle Kost für sich in dieser Beschreibung wieder findende Leser.

Wertung: 4 /7 Schreibfedern

Zurück zur Übersichtfacebooktwittergoogle_pluslinkedinmail

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>