Autor: Sophie Hayes
Titel: Zum Sex gezwungen – Wie ich der Zwangsprostitution entkam
Übersetzer: Bernhard Liesen
Verlag: Weltbild
Erscheinungsdatum: 2015
Seitenzahl: 271
Originaltitel: Trafficked
ISBN-10: 3828929850
ISBN-13: 978-3828929852
Rezension:
Sophie Hayes macht zusammen mit ihrer Lektorin und Co-Autorin Jane, welche namentlich Erwähnung in der Danksagung findet, in der Autobiographie „Zum Sex gezwungen“ auf Zwangsprostitution, Menschenhandel und deren schwerwiegenden Konsequenzen aufmerksam.
Die junge Britin berichtet, wie sie selbst mit achtzehn Jahren zum ersten Mal ihrem späteren Peiniger begegnete, aufgrund ihres damaligen festen Freundes jedoch von weitergehenden Annäherungsversuchen verschont blieb. Sie schreibt über die erste Liebe, welche mehr Freundschaft denn echte romantische Zuneigung zu sein schien, über ihre Kindheit im Wirkungskreis ihres herrischen Vaters, welcher sie, sowie ihre Geschwister, zwar nicht körperlich, aber doch emotional grob misshandelt hat. Und sie erzählt von ihrer bisher einzigen und wahren Liebe, die zu ihrem Partner Erion, welcher trotz seines albanischen Ursprung stets für eine gleichberechtigte, sich auf Augenhöhe bewegende, Beziehung einstand. Eine Partnerschaft, die wegen falscher Selbstzweifel Sophies und politisch-bürokratischen Hürden nach drei Jahren ein jähes Ende fand.
»Ich sehnte mich danach, glücklich zu sein, doch manchmal scheint es so zu sein, dass das Gegenteil eintritt, je mehr man sich etwas wünscht.«
Kastriot – kurz Kas – der ebenfalls albanischstämmige Mann, den sie zum ersten Mal mit der Volljährigkeit in einer Diskothek in Leeds traf und der ihren Weg für immer negativ prägen würde, trat währenddessen in den darauffolgenden Jahren immer wieder (sporadisch) in ihr Leben. Wodurch sich wiederum die Illusion einer Freundschaft ergab und auch Vertrauen eine trügerische, sich selbst nährende, Plattform fand.
Um über den Trennungsschmerz ihrer großen Liebe hinwegzukommen stürzt sich die Autobiographin schließlich Hals über Kopf in einen Kurzurlaub mit Kas, welcher sie im Anschluss zu einem Aufenthalt in dem Land seiner ‘Berufswahl’ einlädt: Italien. Dort beginnt für Sophie, eigentlich gebildete Europäerin aus gutem Haus, jedoch mit dem Hang zur Naivität, Unsicherheit und großen Minderwertigkeitskomplexen, das wohl schlimmste Kapitel ihres bisherigen Weges.
Drohungen, Demütigungen und physische Gewalt stehen fortan auf ihrer Tagesordnung bis der, ihrem Zuhälter vollkommen hörigen, jungen Frau letzten Endes durch eine Erkrankung und mithilfe ihrer Mutter, als auch ihres Stiefvaters schließlich doch noch die Flucht gelingt, so dass sie dem Martyrium der Regeln der Straße entkommen kann. Um allerdings einen Neuanfang in der alten Heimat zu bewältigen, bedarf es neben dem Mut und der Stärke vorprogrammierte Rückschläge auszuhalten, auch der Weisheit Vergangenes besser zu reflektieren.
»Wenn einem etwas Schlimmes zustößt, das einen wirklich verändert, weiß man nicht mehr, wer man ist.«
Heute widmet sich Sophie der ehrenamtlichen Hilfe bei dem Verein „Stop the traffik“ und ihrer eigenen Stiftung.
Ein Buch, in dessen Vordergrund die Prävention und Aufklärung gegenüber Missbrauch steht, was zweifellos das wichtigste Motiv der Lektüre darstellt. Leider brilliert die Verfasserin bei der Umsetzung dieser Elemente jedoch nicht durch Fakten, die zum besseren allgemeinen Verständnis des ‘Lover-Boy-Phänomens’ beitragen und auch ein emotionalen Bezug zu dieser hochbrisanten, sowie wichtigen Thematik lässt sich nur schwer herstellen. Zum einen weil für eine authentische autobiographische Erzählung, die kleinen textlichen Schnitzer, welche aber grundsätzlich bei ungeschulten ‘Autoren’ selbst mit Lektorat auftreten, fehlen und zum anderen fällt es einem trotz des ungeheuren menschlichen Leides, vielleicht mangels eigenem Wiedererkennungswert und Projektionsflächen, schwer mit Sophie in irgendeiner Weise zu sympathisieren.
So wirkt die Schilderung eher wie eine diktierte Abhandlung, die das Augenmerk auf Werbezwecke für eine Hilfsorganisation setzt, ohne dabei näher auf die eigentlichen Auswirkungen oder Strukturen der Grundproblematik von Menschenhandel und deren Einzelschicksalen einzugehen. Sprich es werden zwar eindrucksvoll die Gewalterfahrungen von Sophie geschildert, jedoch nicht der konkrete Weg wie man eigentlich dahin gekommen ist, was dem Thema insgesamt Unrecht tut. Das Gesamtbild bleibt in letzter Konsequenz nebulös und wirkt stellenweise sogar entfremdet. – Ein Erlebnisbericht, der leider eher einem Referat gleicht, das man unvorbereitet für den Unterricht hält und bei dem der wissenschaftliche Hintergrund fehlt.
Natürlich werden einem die Hartnäckig,- und Skrupellosigkeit des Täters, die seinen Narzissmus nach Außen hin dominieren, aufgezeigt, aber die eigentlichen Fakten bleiben aus. Auch wirkt die mittlerweile neunundzwanzig jährige Verfasserin zwar hinsichtlich der vergangenen Ereignisse geläutert, ist meiner Meinung nach, aber nach wie vor anfällig für fremdbestimmtes Verhalten geblieben.
Man hätte sich an diesem Punkt vermutlich eine authentischere Darlegung der Autorin gewünscht oder zumindest eine objektive Erzählweise, wie beispielsweise die des Detective Constable der UK Sexual Crime Unit, dem Ganzen vorgezogen. Schade finde ich ebenfalls, dass im Hinblick auf die schriftstellerische Auseinandersetzung, wie es in solchen Fällen häufig praktiziert wird, nicht mindestens ein Teil der Einnahmen aus dem Buchverkauf, karitativen Zwecken zugute kamen oder weitere themenbezogene Organisationen Unterstützung erhielten.
Nichtsdestotrotz zeigt die Geschichte aber vor allen Dingen auch, dass man nicht jeden Menschen einer Nationalität oder eines Geschlechts über einen Kamm scheren sollte und dass die Fähigkeit der Begegnung auf einer Ebene und die Anerkennung freiheitlicher Werte immer eine Frage der Persönlichkeit einer Person und nicht der Herkunft sind.
Ein Buch, das sich aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz nicht verreißen lässt, welches aber auch die Thematik der Zwangsprostitution leider nicht in die Mitte der Leserschaft trägt.
Quotes:
- „Du kannst nicht etwas haben, nur weil du es willst.“
- Aber so schlimm unsere Erfahrungen auch sein mögen, wir geben die Hoffnung nicht auf, jemanden zu begegnen, dem wir uns anvertrauen können.
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