The Rabbit Back Literature Society (Pasi Ilmari Jaaskelainen)

© Pushkin Press

Autor: Pasi Ilmari Jaaskelainen
Originaltitel: The Rabbit Back Literature Society
Übersetzter ins Englische: Lola M. Rogers
Verlag: Pushkin Press
Erscheinungsdatum: 04. September 2014
Seitenzahl: 352
ISBN-10: 1782270434
ISBN-13: 978-1782270430

[Deutscher Titel: Lauras Verschwinden im Schnee
ISBN-10: 3551034113
ISBN-13: 978-3551034115]

Rezension:

Ella Milana, eine der Hauptfiguren von Pasi Ilmari Jaaskelainens phantastisch angehauchten Roman „The Rabbit Back Literature Society“, kehrt aufgrund der fortgeschrittenen Demenzerkrankung ihres Vaters zurück in ihren finnischen Heimatort ‘Rabbit Back’ (dt. Hasenhausen), welcher grundlegend eine starke Verbindung zur Literatur aufweist. So gründete die berühmte Schriftstellerin und Kinderbuchautorin Laura White (dt. Hermelin) in diesem nämlich eine gleichsam im ganzem Land bekannte Vereinigung, die der Literarischen Gesellschaft Rabbit Backs, in welcher sie von ihr selbst ausgewählte Kinder zu erfolgreichen Autoren ‘ausbildete’. Neun Mitglieder gibt es bereits, zehn sollten es sein – doch seit der Gründungszeit wurde niemand mehr aufgenommen.

Die sechsundzwanzig-jährige Vertretungslehrerin für Muttersprache, welche unter anderem einem Studium der Literatur mit Masterabschluss aufweist, zog, um ihre Eltern zu unterstützen, an den Ort ihrer Geburt und Kindheit zurück, doch im Rahmen ihrer Unterrichtstätigkeit kommt Ella sehr schnell in Kontakt mit dem immer noch vorherrschendem „Markenkern“ von „Hasenhausen“: Belletristik und Laura White.
Auch die Suche nach dem letzten Mitglied der Gesellschaft stellt noch immer ein Leitmotiv des öffentlichen Lebens in Rabbit Back dar. So werden von dem Lehrpersonal der örtlichen Schule besonders gelungene Schüleraufsätze auf einen sogenannten „Laura-Hermelin-Stapel“ gelegt, aber gleicherweise reichen Erwachsene, ebenfalls in der Hoffnung, der Autorin Aufmerksamkeit zu erregen und in die Gesellschaft berufen zu werden, Geschichten zur Veröffentlichung in der Lokalzeitung ein.

Ziemlich unerwartet wird Ella Milana nach der Veröffentlichung einer kurzen Novelle tatsächlich der zehnte Platz und somit die Mitgliedschaft in der Literarischen Vereinigung angetragen. Ab diesem Zeitpunkt rückt verstärkt die eigentliche Handlung in den Mittelpunkt. Nicht nur, dass es in dieser surreal, aber dennoch authentisch anmutenden Welt selbstveränderliche, „mutierende“ Bücher gibt (eine Dostojewski-Ausgabe von „Schuld und Sühne“, im Original von 1866, sieht beispielsweise den Tod eines Protagonisten vor, obwohl dieser vom frühzeitigen Ableben verschont bleiben sollte), sondern begegnen dem Leser ganz so, als wäre ein Buch real, phantastische Wesen und rational kaum erklärliche Phänomene – das titelgebende Verschwinden von Laura White in einem plötzlichen Schneesturm, der wie ein Kugelblitz zwischen die Gäste der Aufnahmefeier des neuen Mitglieds fährt, gehört eindeutig dazu.

Während fortan Ingrid Katz, ihres Zeichens ‘Hasenhausener’ Bibliothekarin und Gründungsmitglied der Literarischen Gesellschaft, mit Büchern, die ob ihrer „Bücherpest“ anheim gefallen sind, eine Art Hexenjagd veranstaltet, spielt man zusammen mit Ella ein Spiel. Ein gefährliches, weitgehend unvorhersehbares und sehr persönliches Spiel. Ein Zeitvertreib, welcher den Leser schließlich gemeinsam mit der Protagonistin auf die Spuren der Anfänge der Gesellschaft bringt und der einen sogar die verschiedenen Geheimnisse der mittlerweile populären Autoren lüften lässt. Am Ende findet man jedoch nicht die vielleicht erhofften Antworten auf die eigentlich aufgeworfenen Fragen des Romans, sondern man wird vielmehr mit Auflösungen konfrontiert, die ein jeder selbst in ein passendes Licht rücken kann – muss.

Im Rahmen des #RettetdieKultur – Aufrufes wurde mir sozusagen ein englisches Blinddate mit dem Werk des finnischen Zungenbrechers Pasi Ilmari Jaaskelainen in drei Akten verschafft. Das Schöne an einer Verabredung mit dem Unbekannten ist zweifelsfrei, dass man aufgrund von Neugier und mangels hoch gegriffener Erwartungen, im Prinzip nur positiv überrascht werden kann. Zumindest ist mir dies eindeutig mit der voranstehenden Geschichte widerfahren.
Denn selbst wenn sich das Buch nur schwer auf ein bestimmtes Genre wie Phantastik oder Kriminalroman festlegen lässt, da weder eine Ermittlung, noch ein klare übernatürliche Welt konstruiert wurden, so nimmt es einen doch mit auf eine gleichermaßen vielschichtige Reise hin zu den Wurzeln des menschlichen Geistes. Wo einem neben den unterschiedlichen Mustern des emotionalen Zusammenlebens, auch die Grundstrukturen des Schriftstellens aufgezeigt werden.

Ähnlich wie Ella Milana im Buch mithilfe wissenschaftlicher Analyse versucht die Geschichte der Literarischen Gesellschaft zu ergründen, so ergeht es dem Leser beim Versuch die Lektüre zu entschlüsseln. Jedes Teil, jedes Kapitel, gleicht fortwährend einem Puzzle, welches erst in der Gesamtheit klar zu erkennen ist, bei dem man jedoch schon im Verlauf der jeweiligen Geschichtsstränge die einzelnen Teile im Detail gezeigt bekommt und dessen Gewicht für die spätere Handlung bereits im Vorfeld bemessen kann.

Einen weiteren schönen Aspekt bilden die zahlreichen, liebevollen Details, wie beispielsweise in der Gestalt, als dass die Namen der Schriftsteller der Literarischen Gesellschaft und ebenso andere Charaktere ihren Ursprung in der Geografie finden. Aber auch die wundervollen Analogien sind toll gewählt, wie umgesetzt. In der Figur des Baumwesens Krumborke, ein Akteur aus Laura Whites Kinderbuchserie, ist beispielsweise ein Autist wiederzuerkennen. So kann Krumborke zwar mit Menschen kommunizieren, aber nur, wenn sie sich unter ihm Schlafen legen und träumen. Auch unter den Mitgliedern der Gesellschaft ist ein solches Individuum zu finden. Das Bild des Rattenkaisers, ebenfalls ein Wesen aus der Feder von Laura ‘Hermelin’, ist in seiner Vielschichtigkeit wiederum schwer greifbar, erinnert aber eindeutig an den Rattenkönig, der aus germanischem Sagenmaterial bekannt ist.

Doch nicht nur die Namen versprühen einen Hauch Mythologie, wie bei ‘Alice im Wunderland’, sondern auch der allgemeine Erzählrahmen mit seinen diversen Anspielungen auf die finnische Sagen,- und Fabelwelt, sowie die herrlich beschrieben Winterlandschaft wurden gut eingearbeitet und runden den interessanten Gesamteindruck positiv ab.
Die während der Handlung auftretenden Zeitsprünge fordern immer wieder aufs Neue die Aufmerksamkeit des Lesers ein, dem gegenüber stehen die herrlichen Zwischentöne, welche allerdings ebenfalls Konzentration als Tribut verlangen. Generell ziehen sich die Ambivalenzen wie ein roter Faden durch den Roman. So ist dieser übernatürlich und dennoch authentisch, faszinierend, gar Aufmerksamkeit heischend, wie gleichsam tiefgründig.

Was die gezeichneten Charaktere und deren kleinen Mikrokosmos, also die Gruppendynamik innerhalb der Buchgesellschaft, betrifft, so war mir persönlich trotz der angedachten Antihelden-Rolle Martti Winterland am sympathischsten. Vielleicht gerade aufgrund seiner Unvollkommenheit, der Theorie der überdrüssigen Gedanken oder dem puren, unverblümt gelebten Lebens willen. Frei nach einer einstigen Schlager-Zeile: »… wir haben schon so viel Glück auf dem Gewissen«. (Dein ist mein ganzes Herz, Heinz Rudolf Kunze)

Ebenso illustriert der Roman, dass die Welt, oder vielmehr das, was man von ihr wahrnimmt, oft mehr Schein als Sein ist und wie Wunschdenken beziehungsweise die eigene Wahrnehmung, sowie Realität manchmal nicht in Einklang zubringen sind und mit den individuellen Erinnerungen verschwimmen. Einige würden sich bestimmt daran bereichern, sich öfter an dem ‘Seelen-Striptease’ sprich dem Ausbluten der Romanfiguren während dem internen Spiel der Literarischen Gesellschaft ein Beispiel zu nehmen. Sich nicht in Geschichten zu hüllen, zumindest gegenüber geliebten Menschen, wäre mit Sicherheit ein guter Ansatzpunkt. Denn selbst die später – nach einem Spiel – den Figuren innewohnende Leere würde einen doch definitiv dazu anregen, Neues aus der Selbstreflektion entstehen zu lassen.

Außerdem lässt sich neben etlichem Interpretationsspielraum ableiten, dass Kinder nicht nur für Eltern eine Inspiration und ein Wahrheitsspiegel sind, sonder man sich auch stets vor Augen halten sollte, dass man einen Menschen nicht nur von einem Blickwinkel aus betrachten beziehungsweise immer den gesamten Zeitstrahl einer Persönlichkeit beleuchten sollte und der Hund ewig der beste, sowie treuste Gefährten des Menschen sein wird. Letzteres zauberte zumindest mir ein entzücktes Lächeln ins Gesicht.

Schlussendlich bleibt, dass selbst wenn man aufgrund des anfangs typisch skandinavisch, entschleunigtem Schreibstils, nur schwer oder mit Mühe in das Buch finden mag, man doch eine sehr anspruchsvolle, wie intelligente Lektüre vor sich hat, bei der einem vermutlich erst im Nachgang die tatsächlichen Zusammenhänge, sowie vielfältigen Anspielungen und einzelnen Metaebenen bewusst werden. Ein Buch, welches meiner Meinung nach, zurecht mit den finnischen Kuvastaja-Preis für den besten Fantasyroman ausgezeichnet wurde und das sich lohnt!

Wertung: 5,5 /7 Schreibfedern

Zurück zur Übersicht
facebooktwittergoogle_pluslinkedinmail

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>