Autor: Mary Hooper Titel: Totenmädchen Verlag: cbj Erscheinungsdatum: 18. April 2011 (Taschenbuch) Seitenzahl: 320 Originaltitel: News from the Death ISBN-10: 3570400727 ISBN-13: 978-3570400722
Rezension:
Die Geschichte von Mary Hooper, spielt – wie fast alle ihre Werke – auf englischem Boden, nämlich in der Gegend von Oxford um 1650 herum und basiert in großen Teilen auf einem wahren Hintergrund. Die Hauptfigur, Anne Green, als real existierender Mensch nachweisbar, ist zu Beginn des Romans eine 16 Jahre alte Hausbedienstete bei einem englischen Adligen namens Sir Thomas Reade. Nach einiger Zeit beginnt der Sohn des Hausherren, Geoffrey, um Anna zu buhlen, zunächst widersteht Anne allerdings dem Werben, auch weil der Sohn des Schmiedes des Ortes bei ihr ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Interesse weckt, doch nach dem Versprechen der Ehe durch Geoffrey und einem damit zusammenhängenden Aufstieg zu einer Dame der Gesellschaft gibt sich ihm Anne letztendlich hin.
Die Liebschaft dauert einige Monate und resultiert in einer Schwangerschaft. Ab diesem Zeitpunkt verleugnet Geoffrey Anne, die zunächst erfolglos versucht, die Leibesfrucht durch einen Kräutertrank, zu damaligen Zeiten eine gängige Prozedur, loszuwerden. Die Schwangerschaft endet dennoch nicht mit der Geburt des Kindes, da Anne eine Totgeburt im fünften Schwangerschaftsmonat erleidet. Da dies nicht unter Zeugen geschieht, wird, alsbald der Körper des Fötus’ gefunden wurde, Anne wegen Kindstötung angeklagt und vor Gericht gestellt. Ihre Unschuldsbeteuerungen werden nicht geglaubt, weswegen Anne schließlich zum Tod am Strang verurteilt und an einem kalten Dezembertag an den Galgen in Oxford geführt wird. Auf Annes Wunsch hin versuchen einige Freunde das Hängen und somit den Tod durch Zug an den Beinen zu beschleunigen; sie wird nach rund 15 bis 20 Minuten vom Galgen erlöst, in einen Sarg gelegt und zum Haus des örtlichen Apothekers gebracht, wo eine Sezierung vorgenommen werden soll.
An dieser Stelle setzte die Geschichte durch zwei personale Erzähler erst ein. Einmal Anne, die in einer Art Bewusstlosigkeit die vergangenen Geschehnisse bis zur ihrer Verurteilung, sowie dem Strang wiedergibt und Robert, einem Studenten der nach der Hinrichtung der geplanten Sezierung beiwohnt und erste Lebenszeichen bei Anne entdeckt – ihre Augenlider flattern leicht.
In der Tat überlebt Anne die Exekution und die anwesenden medizinisch gebildeten Menschen versuchen daraufhin erfolgreich, sie mit den damaligen Mitteln (heiße und kalte Wickel, Einläufen, Aderlässen, als auch warme teils alkoholische Tränke) wiederzubeleben. Dieses Überleben wird später als ein Zeichen von Gott gegenüber einer Unschuldigen gewertet, weswegen Anne vollständig begnadigt wird. Die Geschichte mit ihrer Verführung durch Geoffrey kommt ans Licht, zeitnah stirbt auch der Hausherr Sir Reade, was noch einmal das Unrecht das Anne widerfahren ist unterstreichen soll. Zu guter Letzt heiratet die Protagonistin doch noch den Sohn des Schmiedes und lebt mit ihm bis zu ihrem natürlichen Tod in einer glücklichen Beziehung. Soweit der Inhalt des Romans.
Die historischen Fakten, die unter anderem mit erhaltenen kirchlichen Geburtsbüchern und Gerichtsakten ermittelt werden können, zeigen nur kleine Abweichungen zu den Romanbegebenheiten. Die reale Anne Green wurde 1628 in Steeple Barton, Oxfordshire, geboren und war zum Zeitpunkt der Geschehnisse mindestens drei Jahre älter als die Romanfigur Anne. Außerdem ist wohl eine Ehe Annes nach der Begnadigung nachzuweisen, doch können keinerlei Fakten zur Familie ermittelt werden, auch die Ursache ihres mutmaßlich natürlichen Todes, vermutlich im Jahr 1665, ist unbekannt.
Wissenschaftlich sind die Geschehnisse beim Überleben der Exekution sehr gut zu erklären. So erläutert die Autorin selbst in ihren abschließenden Anmerkungen von folgend interpretiertes: Die damalige Hinrichtungsmethode am Galgen war meistens der sogenannte „kurze Fall“, bei dem die verurteilte Person mit der Schlinge um den Hals in eine geringe Höhendifferenz von in der Größenordnung 30 bis 50 Zentimetern fallen gelassen wurde. Im Gegensatz zu später eingeführten Methoden („Standardfall“ oder „langer Fall“) reichte dies nicht aus, um eine tödliche Verletzung des Stammhirns oder des Rückenmarks durch Verschieben oder Brechen der oberen Halswirbel zu erreichen, für den Tod ursächlich war eine Kompression der Blutgefäße des Halses oder der Luftröhre. Es konnte zwar oft eine schnelle Bewusstlosigkeit durch die Unterbrechung der venösen Blutzirkulation in den Jugularvenen erreicht werden, doch der Tod selber trat oft erst im Nachhinein durch Ersticken ein. Um eben diese Bewusstlosigkeit schneller herbeizuführen, werden die Zuschauer der Exekution auch an Annes Beinen gezogen haben.
Allerdings gab es bei Annes Hinrichtung wohl eine Besonderheit – es war Dezember und es herrschte eine kalte Witterung. Es ist natürlich weithin bekannt, dass Kälte biologische Prozesse hemmt, von eine verlängerte Lebensmittelhaltbarkeit im Kühlschrank über die Anwendung von Kälte in Notfall- und Intensivmedizin (gekühlte Schlaganfallpatienten behalten oft spürbar weniger Folgeschäden zurück, auch bei extrem invasiven chirurgischen Eingriffen, beispielsweise am Herzen, sorgt eine Kühlung für eine bessere Überlebensrate) bis hin zum Überleben von Einbrüchen in Eisflächen gefrorener Gewässer trotz minutenlang aussetzenden Kreislauffunktionen. Es ist stark zu vermuten, dass Anne Green ebenfalls unterkühlt war, als sie an den Galgen gebracht wurde. Diese Unterkühlung dürfte stark daran beteiligt sein, dass sie die Einschränkungen der Blutzirkulation durch die Schlinge für die Dauer des Hängens überleben konnte – spätere Exekutionsvorschriften in Gebieten unter britischem Einfluss schrieben übrigens eine Mindestdauer des Hängenlassens von einer Stunde vor, da es auch noch weitere den Galgen überlebende Verurteilte gab.
Anne’s Fall war also kein Einzelphänomen, aber trotzdem in der Art und Weise, wie zumindest Mrs. Hooper ihren Leidensweg erzählt, beeindruckend, emotional bewegend und einzigartig. Denn die Autorin versteht es, wie kaum jemand anderer, in ihren Büchern die historischen Begebenheiten, sei es sprachliche Raffinessen oder geografische Eindrücke, so in Einklang mit der von ihr erschaffenen Rahmenhandlung zu bringen, dass man durch die Detailliebe (beispielsweise der englische Titel “News from the Death”, welcher tatsächlich einem damaligen Flugblatt entsprach, dass nach Annes Schicksal veröffentlicht wurde) beim Lesen stets das Gefühl hat selbst in die Mitte des 17. Jahrhunderts versetzt worden zu sein und alles parallel miterleben zu dürfen. Wobei ich auch zugeben muss, dass der Schreibstil nicht Jedermann Geschmack treffen wird. Ich empfinde ihn zu den entsprechenden Hauptcharakteren und deren eher abergläubischen, sowie unaufgeklärten Denkweisen sehr treffend, da er die realen Umweltbedingungen oder auch die Stände der damaligen Bildung wiedergibt. Doch genau dies könnte auch als Manke desgleichen aufgefasst werden. Ein Punkt in dem nicht nur dieses Werk von Mary Hooper polarisiert.
Aufmerksam geworden auf die englische Fassung des Buches bin ich durch die vorangegangen Werke der Autorin, unter anderem “Das außergewöhnliche Leben der Eliza Rose” oder “Die Schwester der Zuckermacherin”. Nachdem ich nämlich bereits alle hierzulande erschienenen Romane mit Begeisterung gelesen hatte und auf der Suche nach weiteren Exemplaren war, kam mir der Zufall zu Gunsten, dass zu dem Zeitpunkt gerade der Originaltitel erschien. So wanderte schließlich Selbiger und später auch noch einmal die deutsche Übersetzung in mein Buchregal. – Das Cover des Romans, welches durchgehend beibehalten wurde und auch in der deutschen Abhandlung Verwendung fand, fügt sich meiner Meinung nach, übrigens gleichermaßen gut in das Gesamtbild der Erzählung ein. Ein etwas jugendlich, leicht anmutender, verspielter Stil, das ebenso wie die Geschichte, auch von Erwachsenen genossen werden kann.
Fazit: Totenmädchen ist definitiv ein spannendes, empfehlenswertes Buch, welches nicht nur für Historien-Liebhaber geeignet ist und einem die Geschichte Großbritannien näher bringt, sondern auch das Interesse von anderen Bücherwürmern wecken kann. Sei es beim ersten,- oder auch mehrmaligen Lesen.
Wertung: 5/7 Schreibfedern
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