Autor: Péter Gárdos
Titel: Fieber am Morgen
Übersetzer: Timea Tankó
Verlag: Hoffmann und Campe Verlag GmbH
Erscheinungsdatum: 12. Oktober 2015
Seitenzahl: 256
Originaltitel: Hajnali láz
ISBN-10: 3455405576
ISBN-13: 978-3455405576
Rezension:
Sehnsuchtsvolle Zeilen, Gedichte, Liebesbriefe und ungebrochener Lebenswille. Man mag viel oder vielleicht Gegenteiliges von Überlebenden eines Konzentrationslagers des Zweiten Weltkriegs erwarten, doch selten poetische Lyrik und liebestolle Gefühle. Aber genau die sind es, welche Péter Gárdos in seinem Debütroman „Fieber am Morgen“ mit seinen Protagonisten und den Lesern teilt.
»[...] Lassen Sie uns in Ruhe! Lassen Sie uns träumen. Ich flehe Sie an, lassen Sie zu, dass wir uns nicht um die Wissenschaft scheren! Ich bitte, Sie von ganzem Herzen, Herr Doktor, lassen Sie uns einfach gesund werden.[...]«
Der Ungar Miklós kommt, auf Initiative des Roten Kreuzes, im Sommer 1945 als Überlebender des Konzentrationslagers Bergen-Belsen nach Schweden in ein Behelfskrankenhaus. Dort wird er gut verpflegt, erhält jedoch erschütternde Nachrichten was seinen Gesundheitszustand betrifft. Entgegen der Tuberkulose-Diagnose und erneut geringen Lebensprognose der Ärzte, weckt die schlechte Nachricht in Miklós jedoch ungebrochenen Lebensmut, weshalb er kurzerhand beschließt, sich auf die Suche nach einer Frau zu machen. Nicht seiner Mutter, Schwester oder einer anderen Angehörigen, nein, auf die Suche nach einer Herzensdame, die er heiraten kann.
117 Ungarinnen, die ebenfalls in Schweden versorgt werden und aus Miklós’ Heimatstadt Debrecen stammen, erhalten schließlich Post von dem jungen Mann. Einige antworten, aber nur Lili schreibt sich Zeile für Zeile in das Herz des Protagonisten.
Bevor das jung verliebte Glück jedoch zusammen kommt, muss es die Irrungen und Wirrungen des Alltäglichen, ebenso wie der großer Religions- oder Gesellschaftsformen überstehen.
Die Geschichte von Lili und Miklós ist aber nicht nur die Geschichte zweier besonderer Menschen, die aller Widrigkeit zum Trotz zueinander fanden, sondern sie beruht auch auf wahren Begebenheiten. Péter Gárdos erzählt mit „Fieber am Morgen“ einen Teil der Biografie seiner Eltern, die in rund 200 Briefen belegt ist. – Nach dem Tod des Vaters, der gerne Autor geworden wäre, aber ‘nur’ journalistisch tätig war, vertraute seine Mutter ihm die gut gehüteten Briefe an und konnte Gárdos schließlich in die Wunschschuhe seines Vaters treten.
»Das beweist, das Talent allein nicht ausreicht. Es schadet nicht, dazu noch ein wenig Glück im Leben zu haben.«
Die Handlung selbst wird mit einer unglaublichen Leichtigkeit erzählt. Doch gerade der locker, romantisch-verspielte Erzählstil des Buches kann polarisieren. Ich zum Beispiel finde es toll, dass einem der gern verwendete „moralische Zeigefinger“ in diesem Werk erspart blieb und endlich einmal die Menschen im Fokus der Handlung standen. Das ist erfrischend, neu und positiv.
Denn meiner Meinung nach, bleibt es immer unabdingbar, dass wir uns der historischen Geschichte erinnern sollten, um sie nicht zu wiederholen, aber es darf auch mal mit einem anderem Blick – der, der Zukunft positiv entgegen sieht – auf die unmittelbare Nachkriegszeit geblickt werden.
Ansonsten besticht der Roman durch seine Vielzahl an Details. Sei es die Anspielung auf Thomas Manns Zauberberg und andere Weltliteratur oder die zwar nicht tiefgründig ausgearbeiteten, aber liebevoll umgesetzten Nebenfiguren. Auch finde ich gut, dass das Buch dem Leser aufzeigt, wie ein Extrem vom Nächstbesten abgelöst werden kann. Sowohl als Opfer des Nationalsozialismus, das den Kommunismus verklärt, bevor schließlich der sozialistische Traum zerplatzt, als auch wenn man spontan vom Judentum zum Katholizismus konvertieren möchte.
»Mit der Abscheu muss man vorsichtig sein. Sie kann leicht in Hass umschlagen. Gleich darauf folgt die Aggression. Dann kommt die Ideologie. Um am Ende werden sie in ihrem ganzem Leben nichts anderes tun, als Fliegen zu verfolgen.«
Erzählt aus der Perspektive von Peter Gardos mit stimmig in den Textfluss eingewobenen Gedichten und Briefen, wurde das Buch in beinahe dreißig Sprachen übersetzt. Ferner verfilmte bereits im vergangenen Jahr, 2016, eine internationale Koproduktion unter der persönlichen Regie des Autoren das Material.
Außerdem gewann das Werk verdienterweise den Europa-Buchpreis, eine Auszeichnung der Lesegemeinschaften von der Stadt- und Kreisbibliothek Meiningen “Anna Seghers”, der französischen Mediathéque de l’Europe aus Bussy-Saint-Georges und der Radcliffe-on-Trent Library in Großbritannien.
Eine beeindruckende Lektüre gegen das Vergessen und für die ungebrochene Freundschaft, wie Liebe – ein Buch, das einen zum Schmunzeln und Lächeln bringt, das Lebensfreude weckt und sich vor allem zu lesen lohnt!
»Und ich wartete in den nächsten zwei Jahren still und sehnsüchtig darauf, auf die Welt zu kommen.«
Interessantes vom Autoren in „Titel, Thesen, Temperamente“:
Wertung: 6 /7 Schreibfedern
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