„Ich war schon einmal hier“, begrüßte Saša Stanišićs seine Leser. Dies wusste er durch eine Navigations-App, die ihn zielsicher in die Theaterstadt gelotst hatte. Der Autor mit serbisch-bosnischen Wurzeln war Gast der dritten Veranstaltung der Meiningen Frühlingslese und las gestenreich mit viel Leidenschaft wie Qualität aus seinem neusten Werk „Fallensteller“.
Der Erzählband, der zwölf Kurzgeschichten enthält – bei denen man sowohl bekannten Protagonisten begegnet, als auch spannende drei gegliederte Fortsetzungserzählungen findet –, nimmt einen mit auf eine außergewöhnliche Reise. Ob nun zurück nach „Fürstenwalde“, an den Rhein oder nach Schweden, ein jeder wird sich oder ein verlorenen geglaubten Teil seiner selbst, in den vielschichtigen Charakteren wieder entdecken.
Mit seiner Lesetechnik begeisterte Saša Stanišić mehr als nur einmal das Publikum, dass manch humoristisch geschilderte Szene mit zahlreichen Lachsalven quittierte, was den Autoren teilweise anzustecken schien, weil er gelegentlich mit einem Grinsen in der Stimme nahtlos Sätze wie „Auf diese Passage freue ich mich schon seit fünf Seiten!“, oder „Das hier habe ich auch noch nicht öffentlich gelesen, das ist gerade neu für mich.“ einschob.
Bildgewaltige Sprache, die Spaß macht
Man könnte nun natürlich einige Worte über die vorgetragenen Auszüge der Ich-Erzählerin und ihrem Begleiter Mo verlieren, deren abenteuerliche Reise die beiden quer durch Europa führt, doch wird solch eine Analyse kaum der Lesung gerecht. Denn Stanišićs bildgewaltige und raffinierte Sprache bereitet einfach zu große Freude. Als Zuhörer konnte man jedes Buchdetail, jeden Gedankensprung lebhaft nachbilden. Gerade letztere, so überraschend und abstrus, ja, teilweise vielleicht wie unter Rauschmitteln anmutend diese auch wirkten, so lebensnah und unverfälscht-echt waren sie doch.
»Ich konzentriere mich so sehr darauf, alles, was Ole [Anm.d.V.: seinerseits Menschenrechtsaktivist] erzählt, zu begreifen, dass ich beginne, Dinge wahrzunehmen, die wahrscheinlich gar nicht real sind. Ein Käferchen öffnet eine kleine Tür an Oles Adamsapfellift, tritt heraus, macht die Tür wieder zu und kletter an Oles Hals hinaus in Oles Haar. […] Das Käferchen putzt sich in Oles Haar die Flügelchen, und Ole ist bei Anekdoten über persönliche Schicksale von Kosovaren angekommen.«
Einer meiner Lieblingsstellen, denn wer kennt sie nicht, diese Käferchen-Momente?!
Die Augenblicke, in denen man angestrengt versucht das Gehörte zu verarbeiten, aber die eigenen Gedanken unwillkürlich in die Ferne schweifen oder sich auf etwas anderes konzentrieren. Dennoch nimmt man das Gesagte wahr und zur richtigen Zeit kommt es einem schließlich wieder in Erinnerung, weil man es unterbewusst trotzdem verarbeitet hat. Genau wie es der Ich-Erzählerin letztendlich in der Kurzgeschichte mit Mo widerfährt.
Diese und andere Passagen zeigen, dass Saša Stanišić nicht nur den spielerischen Umgang mit dem Alltäglichem beherrscht, sondern auch bei scheinbar nichtigen Kurzgeschichten-Themen in die Tiefe geht und ernste Aspekte, die meistens einen aktuellen sozial-politischen Bezug haben, anspricht.
Als schließlich die Möglichkeit eröffnet wurde einige Fragen zu stellen, kam die Erkundigung nach der Arbeitsart des Autoren auf. Neben der Tatsache, dass er für komplexe Werke einen hohen Rechercheaufwand treibt und unbedingt an die Orte der Handlung reist, schilderte er seine zwei unterschiedlichen Verfahrensweisen. Manche Geschichten erforderten, in seinen Worten, dass der Weg vom Anfang bis zur Auflösung vor dem Schreiben geplant wird; dieser Weg sei anstrengend und er selbst erst zufrieden, wenn er das Ziel erreicht habe. Manch andere Geschichte, hier ist tatsächlich der Fallensteller ein prominentes Beispiel, erlaubt es – ja, verlangt es –, dass man sich auf dem Geschichtenweg treiben lässt und nicht weiß, wo dieser enden wird, da diese Erzählart mit einem fest definiertem Ende nicht funktionieren würde. Bei den Kurzgeschichten selbst bevorzuge er ebenso das ‘freiere’ Schreiben, das Reduzierte wie in „Die Fabrik“ wäre langwieriger und mühsamer, aber für den Leser natürlich nicht minder schön.
Auch Biografisches kam zur Sprache. So führte Stanišić aus, dass er schon früh einen Fuß ins Literaturmeer gesetzt habe. Im Alter von dreizehn Jahren kam ihm beispielsweise eine Geschichte über einen Jungen namens Saša in den Sinn, der mit nur begrenzt kontrollierbaren magischen Kräften die Welt rettete, in der er plötzlich gelandet sei. Gut möglich, dass dieser Inhalt durch das Lebensumfeld Stanišićs geprägt war, denn 1992 flüchtete er mit seiner Familie vor den Balkankriegen nach Deutschland. Bei einem Onkel in der Gegend von Heidelberg untergekommen, besuchte er bald darauf eine deutsche Schule, an der ein Deutschlehrer bei ihm ein Talent für das Schreiben entdeckte und förderte.
Wie man sich als Publikum unschwer bei der Lesung überzeugen konnte, hat Saša Stanišić die deutsche Sprache komplett assimiliert. Das geht soweit, dass er beim Arbeiten an seinen Geschichten diese auf Deutsch denkt und entwirft, da ein Arbeiten mit seiner ersten Muttersprache, Serbokroatisch, mit größerer Anstrengung verbunden sei, so seine Aussage im Gespräch.
Dennoch bleibt er seiner Herkunft verbunden und hatte die Hoffnung gehegt, dass seine Romane dazu beitragen könnten, die noch vor kurzer Zeit zerstrittenen Völker im Balkangebiet wieder etwas mehr zusammenzuführen, gerade weil es eine nahezu einheitliche, gemeinsame Sprache gäbe. Doch ist es schlussendlich dazu gekommen, dass die Übersetzungen in drei unterschiedlichen Varianten herausgebracht wurden; für jeden Regiolekt und für beide Schriftsysteme, dem Lateinischen und der Kyrillischen Schrift, eine. Wenngleich unter regelmäßiger sprachlicher Kontrolle des Autors. Obgleich dies etwas Aufwand erforderte: Mit einem Lachen dachte er an eine (serbische) Übersetzerin zurück, die Stanišić so oft angeschrieben und ihr Korrektur- und Änderungsvorschläge angedient hatte, dass diese sich irgendwann gar nicht gemeldet habe. Doch „das Werk sei gut geworden, ja“, kommentierte er die Übersetzung letzten Endes.
Als Literaturliebhaber sollte man unbedingt nach einer Gelegenheit Ausschau halten, Saša Stanišić am Lesepult zu erleben. Man wird nämlich einen unglaublich empathischen wie auch sympathischen Menschen begegnen, der den Vortrag lebt und sein Publikum mitnimmt – mitnimmt auf eine Reise durch faszinierende Buchwelten, die einen einfach begeistern und pures Lesevergnügen vermitteln!
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