[08. Juni 2017] Ein Contemporary der Worte

»Und was ist das für ein Leben, für einen Dichter? Dichter nennen sich Slam-Poeten und was machen sie? Poesie für die Unterhaltungsindustrie – braucht ständig neue Gesichter, für den Club der Toten Dichter. Wer spielt Henker und Richter, wer wird Germany’s next Dichter?«

Yusuf Rieger

Yusuf Riegers Worte klangen noch lange im Alten Kino am Platz an der Kapelle nach. Doch nicht nur seine. Mit dem Literaturstudenten aus Berlin, der sich mit der deutschen Sprachentwicklung auseinandersetzte und eine Hommage an die Lyrik schuf, brachten fünf weitere Poeten mit dem bereits achten Poetry Slam frischen Poesiewind in die thüringische Kleinstadt.

Berührend, unterhaltsam, politisch, persönlich, es gibt viele und keine Umschreibungen, welche der Kunstform dieses Dicht-Wettbewerbs gerecht werden könnten. Vielleicht einfach nur: Es war ein Vergnügen. Der Saal war schon lange im Vorfeld ausverkauft, das Publikum begeistert und die Künstler übertrafen einander. Felix Römer, selbst langjähriger Slamer, führte wortgewandt wie humorvoll durch den Abend und erklärte die Regeln des Wettstreits, der doch viel mehr ein Miteinander war.

Felix Römer

Sechs Poetry-Slamer, sechs Wortbeiträge, sechs Minuten Zeit den Zuhörern sich, seine Gedanken oder die der Welt näher zu bringen. Neun Freiwillige des Publikums, die einzeln oder als Gruppe, subjektiv-demokratisch die Künstler auf einer Skala von eins bis zehn bewerten durften. Wobei Eins für „Gott hat Durchfall“ und Zehn für „dieser Beitrag hat mein Leben verändert, so dass ich nun hinaus gehen, mich scheiden lassen und mit einem Mustang den Sonnenuntergang entgegen fahren werde“, stand. Die höchste und niedrigste Bewertung fiel letzten Endes unter den Tisch, um ein Mindestmaß an Objektivität zu gewährleisten. Zwei Autoren traten immer unmittelbar nacheinander an, die beste Bewertung entschied, welcher der Beiden schließlich zu den drei Finalisten gehörte.

Aylin Celik

Aylin Celik aus Düsseldorf regte mit ihren Beitrag „Wird die Welt wieder gut? Ja, Nein, Vielleicht?“ zum Nachdenken an. Gut und Böse spielten dabei ebenso eine Rolle, wie aktuell politische Bezüge und die wankelmütige Meinungsbildung der Gesellschaft. “Siehst du nicht wie Menschen Städte aus Kreide malen, dann haben sie bei jedem fallenden Regen, eine neue Wahl.“, proklamierte die junge Dichterin. Ihr folgte Darryl Kiermeier aus München, der mit seinem sympathischen Slam „Vergiss dich nicht“ auf Komplimentenfang ging. Kiermeier regte zur Auseinandersetzung mit dem Selbst und Anderen, an. Dabei betonte er die positiven Facetten des Ichs, schaute kritisch hinter die Fassaden der Eitelkeit und stellte das Miteinander der Menschen ins Zentrum.

Matthias Klaß

Der Eisenacher Matthias Klaß und seine Künstler-Kollegin Miedya Mahmod aus Essen, bildeten das nächste Paar. Klaß verfehlte mit „Auf einem Rasen, zwei Tore aufgestellt“, einer Reise durch die Welten des beliebtesten Mannschaftssports des Landes, vom Kinder-Vereins-Fußball bis hin zur Profiliga und seinem Vergleich von Rentnern und Hooligans, jedoch knapp das Finale.

Miedya Mahmod

In „Nicht das, was du denkst“ verpackte Miedya Mahmod mit viel Empathie eines der wichtigsten Gefühle der Menschheit: die Intimität. Denn wer den Blick einmal weg von der Zwanzigerpackung Kondome, den Tampons, Pillen und One-Night-Stands richtete, wurde auf die Träume des Lebens, den Griff nach den Sternen und die zwischenmenschliche Nähe der einem nächsten stehenden Menschen, gelenkt. Mit ihr stellte sie die Frage „Was ist schlimmer: Wenn nichts geschieht oder was passiert?“, in den Raum.

Stefan Dörsing

Stefan Dörsing, gebürtig aus Wetzlar, trug indes einen titellosen Beitrag über den Zettel am Ende eines Teebeutels vor. Der Satz des Zettels, „Sei dir bewusst, dass du der andere bist“, wurde für viele Besucher zu einem einprägsamen Erlebnis. Vielfältig und unterhaltsam erklärte Dörsing nämlich die zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten dieser acht Worte und brachte sogar neue Abwandlungen des Satzes ein. Trotz seiner Kreativität gehörte nicht er, sondern Yusuf Rieger schließlich zu den Finalisten, welcher mit einem Text an seine Mutter und über das „Dichter sein“ auftrumpfte. Er lebe lieber in seinen eigenen Träumen, als den eingebildeten Sorgen, meinte der Publikumsliebling.

Darryl Kiermeier

So standen Yusuf Rieger, Miedya Mahmod und Darryl Kiermeier schnell als Trio der Finalrunde fest, in welcher der Applaus – auch in gehörloser Form – darüber entschied, wer das Wortgefecht für sich gewinnen würde. Noch einmal warfen alle neue Verse in die Waagschale. Mahmod mit ihrem sehr persönlichem Beitrag und einem (Rück-)Blick mit Zwängen, aber auch Liebe. Rieger mit dem Studium der Literatur und einer Hommage an die Sprache, wie auch Kiermeier mit der Findung der Männlichkeit und einem selbst in „Mein Leben – Ein Drama in drei Akten“.

Es kam, sprach und siegte: Yusuf Rieger, der die Botschaft, das das Schicksal der Dichtkunst in unser allen Händen läge und hier nicht enden dürfe in die Welt trug.

»Denn wenn keiner mehr den Tod besiegt und niemand nach dem Höchsten strebt, wenn Faust nicht mit dem Teufel ringt, während Hölderlin im Wahnsinn lebt, wenn Rilke nie auf Reisen geht und Hesse nie nach Innen reist, dann ist die Welt vom Sinn entleert, weil keiner mehr die Sinne preist.«

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