In meinem Himmel (Alice Sebold)

(c) Design Team München; Getty Images / Vojnar

Autor: Alice Sebold
Titel: In meinem Himmel
Verlag: Goldmann
Erscheinungsdatum: 01. Februar 2005
Seitenzahl: 384
Originaltitel: The Lovely Bones
ISBN-10: 3442458366
ISBN-13: 978-3442458363

Rezension:

»Mein Nachname war Salmon, also Lachs, wie der Fisch; Vorname Susie. Ich war vierzehn, als ich am 6. Dezember 1973 ermordet wurde.« Mit diesem vielversprechenden Zitat leitet die junge Ich-Erzählerin in dem Roman „In meinem Himmel“ von Alice Sebold, die Geschichte ihres kurzen, bunten und schließlich durch ein Gewaltverbrechen beendetes Leben, ein.

Die einfühlsame Schilderung der Protagonistin umfasst nicht nur die Ereignisse vor und während ihrem Tod, sondern auch die im Anschluss stets voranschreitende Zeit. So beobachtet Suzanne aus ihrem Himmel, ein Ort der als Dazwischen von dem Aufeinandertreffen des Horizonts mit dem der Erde beschrieben werden kann und an dem vieles, aber nicht alles möglich scheint, die sich weiter entwickelnden Lebensläufe der ihr nahestehenden Menschen auf der Welt.

Als Leser lernt man infolgedessen umfangreich die Charaktere, wie beispielsweise Susies Eltern, ihre ein Jahr jüngere, hochbegabte Schwester Lindsey und deren widerum späteren Freund Samuel, ihren kleinen Bruder Buckley, Oma Lynn, Detektiv Fenerman, Mr. Harvey, Franny und selbstverständlich Ray, ihre erste große Liebe, sowie Ruth kennen. Letztere wird von Susie während ihrer Flucht von der Erde gestreift, wodurch ungeahnte Bande, deren Anlagen Ruth schon immer innewohnten, geknüpft worden.

Aber auch ihre Angehörigen erleben Susie immer wieder in ihren eigenen, ganz kleinen Momenten. Sei es den Gedanken, Erinnerungen oder auch bizarren Spiegelungen in der väterlichen Flaschenschiffsammlung. – Man begleitet die schnell mit ihren individuellen Eigenarten liebgewonnen Figuren im Alltag der kleinen Stadt Norristown (Pennsylvania), bei der Trauer,- oder auch Ermittlungsarbeit, gleichermaßen wie beim Erwachsen werden und altern.

Darüber hinaus bekommt man Einblicke in eine außergewöhnliche Vorstellung des jeweiligen Himmels, der dortigen Vielfalt und somit gleichfalls Susies Seelenleben gewährt.
Bevor am Ende sich alles zu einem großen Ganzen fügt und jeder das erhält, was er (sich) ‘verdient’ hat, weil sowohl Herzenswünsche, als auch menschliche Taten, niemals ohne Konsequenzen oder gar ungesehen bleiben.

Was meine persönliche Meinung betrifft, finde ich, dass weder die Autorin, noch Susie etwas von dem was erzählt wird beschönigen und trotzdem zeigt die Geschichte wunderbar, wie das Leben spielen kann, wie ein Ereignis nicht nur einen Menschen, sondern eine ganze Familie und auch sein Umfeld verändern kann. Eine authentische Variation im unendlichen Lebensfluss, die zudem noch herrlich eine Seite der siebziger Jahre illustriert.

Dabei steht nicht ausschließlich der Tod und die dafür wunderschön gefundene Möglichkeit einer Existenz danach im Mittelpunkt, gleichwohl nämlich auch die kostbaren Facetten des irdischen Lebens. Vor allem die der Liebe:
Die einzigartige Beziehung von Vater zu Tochter, der von Geschwistern jeglichen Alters und Geschlechts untereinander, die der ersten Liebe, die der großen Liebe und natürlich ebenso die der leidenschaftlichen Liebe und ihre undurchsichtigen Wege.

Was auch noch einmal dadurch klar unterstrichen wird, dass Susie, als sie zum Schluss beispielsweise die Möglichkeit erhält ihren Mörder zustellen, sich wie selbstverständlich für den Moment der Zweisamkeit entscheidet.

Auch ist das Buch weitgehend frei von Rollenmodellen und Klischees, weshalb es in seiner Menschlichkeit definitiv zeitlos ist und einen sofort in seinen Bann zieht. Denn trotz der direkten und sparsam verwendeten Worte, für dieses doch heikle Thema, wird gut die Komplexität und starke Emotionalität der Handlung deutlich. Ebenso führt der besondere Schreibstil dazu, dass man jederzeit unmittelbar in den Geschehnissen der Geschichte eintaucht und man das Werk nicht mehr beiseite legen möchte.
Wobei ich jedoch zu meiner Schande gestehen muss, dass ich eigentlich erst sehr spät durch den gleichnamigen (und zwar etwas abgewandelten, aber auch klasse umgesetzten) Film auf diesen Roman und dem für mich eher neuem Genzre aufmerksam geworden bin.

Mit seiner berührenden, ergreifenden Faszination sollte man diese Geschichte auf jeden Fall gelesen haben!

Quotes:

  • „Nicht, Mr. Harvey“, stieß ich hervor, und das eine Wort sagte ich immer wieder. Nicht. Und außerdem sagte ich oft bitte. Franny hat mir erzählt, dass fast jeder »bitte« fleht, ehe er stirbt.
  • Während er mein Bild anstarrte, wurde ihm [Ray] etwas klar – dass es nicht ich war.Ich war in der Luft um ihn herum, ich war in den kalten Morgenstunden, die er mittlerweile mit Ruth verbrachte, ich war in der stillen Zeit seines Alleinseins, wenn er nicht lernte. Ich war das Mädchen, dass er hatte küssen wollen.
  • Da war unser Vater, dessen Herz, wie wir wussten, uns alle in sich trug. Uns schwer und verzweifelt in sich trug, und die Türen seines Herzens öffneten und schlossen sich mit der Schnelligkeit von Klappen an einem Instrument; die geräuschlosen Filzventile, das gespenstische Fingern, Üben und Üben und dann, unglaublich, Klang und Melodie und Wärme.
  • […] Aber sie wartete geduldig. Sie glaubte nicht mehr ans Reden. Das bewirkte nie etwas. Mit siebzig glaubte sie einzig und allein an die Zeit.
  • Die Welt draußen, die ich solange beobachtet hatte, lebte und atmete auf derselben Erde, auf der ich mich jetzt befand. Doch ich wusste, dass ich nicht hinausgehen würde. Ich hatte diese Auszeit genommen, um mich zu verlieben. Mich in eine Art Hilflosigkeit zu verlieben, die ich im Tode nicht empfunden hatte – die Hilflosigkeit, lebendig zu sein, den dunkel leuchtenden Jammer des Menschseins – in dem man sich vortastet, in Ecken herumtappt und die Arme dem Licht entgegenstreckt. All das Teil einer Navigation im Unbekannten.
  • Wann war es angemessen, nicht nur die Toten, sondern auch die Lebenden loszulassen – sie akzeptieren zu lernen?
  • Und ich begann die Dinge auf eine Weise zu sehen, die mich die Welt ohne mich darin begreifen ließ. Die Ereignisse, die mein Tod bewirkte, waren lediglich die Knochen meines Körpers, der in unvorhersehbarer Zukunft wieder intakt sein würde. Der Preis für das, was ich jetzt als diesen wunderbaren Körper sah, war mein Leben gewesen.

Wertung: 5,5 /7 Schreibfedern
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