Autor: Thea Dorn
Titel: Mädchenmörder
Verlag: Goldmann
Erscheinungsdatum: 2010
Seitenzahl: 336
ISBN-10: 3442471567
ISBN-13: 978-3442471560
Rezension:
Die Autorin Thea Dorn bietet einem mit „Mädchenmörder“ einen in zwei Hauptabschnitte, sowie einen Epilog geteilten Roman der Spannungsliteratur an, der von den Erlebnissen rund um psychopathische und sexualisierte Morde, als auch deren Beziehungen untereinander handelt. Das Werk ist aus einer retrospektiven Sicht geschrieben.
Am Anfang schildert Julia, eine von zwei Hauptpersonen und die junge Ich-Erzählerin, wie sie ihr „Peiniger“, nach einer Feier mit gleichaltrigen Abiturienten, auf dem Heimweg sozusagen von der Straße gepflückt und aus ihrer Heimatstadt Köln entführt hat. In seiner Eigenschaft als ehemaliger Radrennfahrer findet David, der Antagonist, die Ideen und Inspirationen für seine Taten; plastisch, aber nicht voyeuristisch, erlebt der Leser so anhand der Erzählung mit, welche psychisch und physischen Misshandlung bis hin zur Vergewaltigung Julia zu ertragen hat.
Gleichwohl wird späteres Wissen immer wieder in die aktuellen Geschehnisse eingeflochten, zum Beispiel auch die Tatsache, dass ihr Peiniger (wohl selbstverständlich) nicht zum ersten Mal auf „erfolgreicher Jagd“ gewesen ist. Diese systematischen Einblicke aus der Handlungszukunft, wie Inhalte aus Ermittlungs,- und therapeutischen Gesprächen, die Julia mit Polizisten, sowie einer Psychologin führte, werden fortwährend mit den Schilderungen weiterer Taten beziehungsweise Morde verwoben. Auch weil die junge Frau ihre zu verarbeitenden Erlebnisse gegenüber den Medien richtig stellen möchte.
Neben einer nun folgenden Reise oder viel mehr Flucht quer durch Europa, bei der man auch kulturell die Vorteile der jeweiligen Länder kennen lernt, kommt immer mehr Julias Skepsis und wohl auch Sarkasmus gegenüber den Erlebnissen zum Vorschein. Einblicke, die eine gewisse Skepsis und wohl auch Sarkasmus vermitteln. Sarkasmus, der sich ebenso in manch anderen Äußerungen erkennen lässt und durch die gemeinsame Ansicht von Julia und ihrem Peiniger über so bezeichnete „Porno Paparazzi Girls“ eine Vorankündigung auf den naheliegenden Bruch des Erzählflusses darstellt. Letztere sollen als kichernd, überschminkte und nicht besonders weltgewandte oder intelligent auftretende junge Frauen, verkörpert werden.
Mit dem Erreichen der Hälfte der Geschichte hat man die Schilderungen von drei weiteren Morden erfasst, dessen einzige Überlebende weiterhin die ihren Entführer durch ihr Wesen beeindruckende Protagonistin ist. Gerade, als sich jedoch der Vierte der Reihe ankündigt, kommt es zum erwartungsgemäßen Bruch, welcher eigentlich eher eine scharfe, glatte Trennung ist, die zudem deutlich durch eine Zwischenüberschrift markiert wird.
Fortan sind die Beschreibungen viel persönlicher, der Leser bekommt intimere Einblicke in die emotionale Welt der Figuren. Außerdem muss er das zunächst angeleuchtete, klassische Gefüge des autobiografischen Romans eines Verbrechensopfers komplett über den Haufen werfen, da der weitere Inhalt sich völlig anders darbietet. Persönlich wird man mit der Frage konfrontiert, ab wann eine Mittäterschaft beginnt und ob eine solche durch das Stockholm-Syndrom wirklich bedingt ist oder ob sich, Zufall sei dank, einfach zwei ähnlich ‘außergewöhnliche’ Naturelle begegnen können.
In diesem nun zweiten Teil gestaltet Thea Dorn, deren journalistischer Stil auch hier immer wieder zwischen den Zeilen erkennbar ist, nämlich eine für viele vermutlich faszinierende und für einige sicher allerdings auch abstoßende Studie einer Variante des menschlichen Verhaltens, die dennoch in sich logisch ist. Die Autorin gibt zwar, weil sie weitere Details ausführt und ihre Buchcharaktere ausbaut, einiges vom „theoretischen Realismus“ auf (im ersten Teil bleibt sie noch einer gewissen Authentizität treu), behält ansonsten ihre Erzähllinie aber bei.
Das Ende der Geschichte der Ich-Erzählerin wird erst im Epilog offenbart. – Selbiger rundet das Werk sehr gut ab und schließt sämtliche, noch offen gebliebenen Handlungsstränge, auch um den Preis, dass einem eine moralische Wertungsrichtung vorgegeben wird.
Möglicherweise hätte das abrupte, aber in sich nicht unlogisch gestaltete Ende vor dem Epilog einen mehr zum analytischen Nachdenken angeregt.
Insgesamt ein Roman, der bestimmt polarisiert, doch nichtsdestotrotz gerade deshalb gesellschaftlich interessant und spannend ist, zumindest für all jene die diese Art der Literatur mögen. Oder wie schon sinngemäß das Testimonial der „Welt“ Redaktion auf dem hinteren Umschlag des Taschenbuches referierte, wagt Thea Dorn in ihrem raffinierten Thriller einfach ein bitterböses Spiel mit ihren Lesern.
Quotes:
- Ich weiß, sie alle wollen meine Geschichte hören. Ich werde sie Ihnen erzählen. Und nichts auslassen. Nur das, was so schlimm ist, dass kein Mensch es erzählen kann, wenn er weiterleben will.
- [...]Das wahre Monster bist nicht Du. Das wahre Monster bin ich.
Wertung: 4/7 Schreibfedern
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