Dark Canopy (Jennifer Benkau)

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Autor: Jennifer Benkau
Titel: Dark Canopy
Verlag: script5
Erscheinungsdatum: 01. März 2012
Seitenzahl: 528
ISBN-10: 3839001447
ISBN-13: 978-3839001448

Rezension:

Joy Annlin Rissel, die man eigentlich nur unter ihren ersten Namen „Joy“ kennen lernt, ist eine junge Frau im Alter von 15 Jahren, deren Geschicke und Erlebnisse der Leser ab einem Zeitpunkt drei Jahre nach der ersten Begegnung mitverfolgen kann.

So lebt sie unter „Dark Canopy“, einer künstlichen Verdunkelung der Atmosphäre, auf einer postapokalyptischen Erde in der Mitte des 23. Jhr. in einem Land, dass den Grenzen des heutigen Englands nachempfunden ist. Ein Lebensraum, den sich die Menschen mit einer zweiten humanoiden Lebensform teilen, den sogenannten Percents. Hierbei sind allerdings letztere, obwohl ursprünglich aus den Reagenzgläsern und Bioreaktoren der Gentechniklabore durch genetische Manipulationen an der menschlichen Erbsubstanz entstanden, die Herrscher über die Welt, in welcher die Menschen entweder als Zwangsarbeiter der Percents gehalten oder in Rebellenclans zurückgedrängt ein Dasein fristen. Joy gehört einem solchen Rebellenclan an, der mit Widrigkeiten wie Nahrungsmangel, nahezu inexistenter medizinischer Versorgung, einer Abgeschiedenheit von der Außenwelt, wie es in der Mitte unseres neunzehnten Jahrhunderts noch üblich war und einer kaum vorhandenen Bewaffnung zurecht kommen muss.

Aus der Geschichte heraus erfährt man, dass die Erschaffung der Percents zum Ziel hatte, willenlose, aber intelligenzbegabte Wesen für den Einsatz in für Menschen gefährlichen Umfeldern, wie beispielsweise nach Chemieunfällen, atomaren Katastrophen oder auch für Kriegsschauplätze, zu kreieren. Am Schluss der genetischen Manipulationen, welche vor rund 240 Jahren vor dem Handlungszeitraum der Erzählung mit einem Schaf namens Dolly begann, stand ein Wesen, dass resistent gegen viele Gifte und durch den Besitz einer stark gefältelten Haut zur gesteigerten Chemosensorik fähig war, also einem überdurchschnittlich guten Geruchssinn besaß, sowie physisch einerseits durch diese kiemenartige Haut länger als jedes andere Säugetier unter Wasser zu bleiben vermochte, andererseits eine allgemein robustere Konstitution aufwies – mit Ausnahme der starken Empfindlichkeit der Haut gegenüber UV-Licht. Zudem konnten diese Wesen, denen gesetzlich wie Tieren keinerlei Rechte zugesprochen wurden, beliebig nachproduziert werden.

So erlangt auch das einprägsame Albert-Einstein-Zitat „Ich weiß nicht, mit was die Menschen im Dritten Weltkrieg kämpfen werden. Aber im Vierten werden es Keulen und Steine sein.“, mit dem der Roman eröffnet wurde, eine sehr treffende Aktualität. Denn letztendlich revoltierten die Percents gegen die menschliche Herrschaft, nachdem diese sich auf dem Zenit ihrer Forschung und Technologie im Grunde selbst vernichtet hat oder zumindest entschieden die Weichen dafür stellte, was wiederum für die überlebenden Menschen eine neue Zeitrechnung einläutete – 40 Jahre vor den Erlebnissen der Hauptfigur.
An dieser Stelle setzt die hauptsächlich aus Joys Perspektive erzählte Geschichte ein, welche für das bessere Verständnis des Gesamtbildes mit vereinzelten Kapiteln aus der Sicht des Rebellen-Clanvorstand-Sohnes Matthial, versehen wurde.

Bei einer Unternehmung in einer nahegelegenen Stadt gerät Joy nämlich mit ihrer Freundin in einen Hinterhalt, wodurch die beiden jungen Frauen voneinander getrennt werden. Die Protagonistin entkommt, ohne jedoch Näheres über das Schicksal ihrer Gefährtin zu wissen. Aus diesem Grund überredet sie wenig später einige andere Clanmitglieder, entgegen des Willens des Anführers, zu einer Rettungsmission. Diese schlägt allerdings fehl und Joy gelangt nach dem miterlebten Tod eines Kampfgefährten in die Gefangenschaft der Percents.

Dort wird sie zwangsweise als eine Art unfreiwillige Sparringspartnerin eines jungen Percents, Neél, für den Einsatz in einem gewalttätigen Initiationsritus, dem Chivvy, rekrutiert.

Zunächst verschließt sich Joy vor der offensichtlichen Existenz einer den menschlichen Errungenschaften gleichwertigen Percent-Kultur, zumal ihr, sowie dem Leser noch nicht einmal bekannt war, dass die Percents überhaupt individuelle Namen besaßen. Selbst wenn deren Ursprung nur auf den einstigen Spuren menschlicher Kultur beruht: Die Percents entnehmen ihre Eigennamen Büchern, die sie im Anschluss vernichten.
Mit der Zeit entdeckt aber auch die junge Soldatin sehr prägnante Merkmale bei den Persönlichkeiten der ihr fremden Lebensform und kann sogar Parallelen zu menschlichen Ansinnen, wie dem Streben nach Macht und Anerkennung, Geheimniskrämerei und (ebenso unterdrücktes!) rebellisches Gedankengut ziehen. Kurzum lässt sich das wohl natürlichste Gut aller Ich-bewussten Wesen wieder erkennen, der Drang nach Freiheit.

» An der Oberfläche gab es nur eins: meinen unbedingten, kompromisslosen Drang nach Freiheit. […] Neél hatte die Macht, mir alles zu nehmen, was ich hatte, ich würde es ihm mit Freuden in die Hände legen. Nur diese eine Sache – meine Freiheit – , die nicht. «

Damit ist auch die Grundlage für eine allmähliche Annäherung von Joy und Neél geschaffen, welche vor dem Hintergrund des fortgeführten Kampftrainings für das Erscheinen im Initiationskampf über gegenseitigen Respekt zu Vertrauen und schließlich zu einem in Liebe und Rebellentum ausgearbeiteten Plan einer Flucht im Getümmel des Chivvy führt.

Mit einer hochdramatischen Abfolge an Wendungen gelangt man schlussendlich zu einem offenem Ende, welches erneut die einzelnen Grenzen von Gut und Böse, aber auch die verschiedenen Perspektiven und moralischen Einstellungen zu einer einheitlichen Masse, in der ein jeder selbst die Verantwortung für seine Handlungen tragen muss, verschwimmen lässt. Zumindest ist dies ein guter Ausgangspunkt für den zweiten Folgeband der Dystopie, „Dark Destiny“.

Persönlich finde ich ansonsten, zumindest was den Inhalt des Buches betrifft, dass dieser stark polarisiert. Denn es lässt sich zum Einen viel Potenzial erkennen und man möchte den Roman aufgrund der erzeugten Spannung nicht aus der Hand legen, dahingegen zeichnet der Inhalt leider ein insgesamt ausgesprochen gehetztes und komprimiertes Bild ab. Hätte man zum Beispiel das Ende des ersten Romans bereits mit der Gefangennahme von Joy geschlossen, hätten die nur bruchstückhaft angedeuteten Beziehungen intensiviert werden können und so eventuell dem Inhalt mehr Tiefe verliehen. Auch wirkt der Schreibstil sehr umgangssprachlich, was nicht unbedingt immer die zu wünschende Atmosphäre unterstreicht. Im Gegenteil einstweilen ist die gefläzte Ausdrucksweise sogar deplatziert und eher einer Fanfiction nachempfunden.

Trotzdem kann man wunderbar über die Handlung, deren zeitlichen Spielräume und die mögliche Realitätsnähe, diskutieren. Weshalb ich nicht ausschließen will, dass ein Mensch des 24. Jahrhunderts diese Geschichte als seine Geschichte sieht.
Wer sich aus all den Figuren nun einen favorisierten Charakter auswählen möchte, bekommt ebenfalls etliche Alternativen geboten. Mir ist auf jeden Fall Graves ans Herz gewachsen, was nicht nur in seiner mitfühlenden Hintergrundgeschichte, sondern natürlich auch in der von ihm ausgelebten Bibliophilie begründet liegt.

» Ich bedauerte, selbst nie viel gelesen zu haben. Vielleicht wüsste ich dann auch mehr über uns Menschen. Vielleicht würde ich mich selbst besser verstehen. […] «

Ein Werk, dass sicher eine kommerziell erfolgreiche Erzählung darstellt, deren Idee ein eben solch hohes Potenzial bietet, welches aber leider bei Weitem nicht ausgeschöpft wurde. Dennoch dürften gerade ‘Young-Adult-Leser’ begeistert die Abenteuer von Joy, Neél und Matthial verfolgen!

Quotes:

  • Man fühlt sich unweigerlich erleichtert, wenn nur noch Leere zurückbleibt. Naturgesetz. Das nichts wiegt weniger als alles andere.
  • „Was mögen die anderen wohl von mir erwarten, Rick? Menschen erwarten immer so viel, jeder tut das. Bloß… niemand kann all die Erwartungen erfüllen, die die anderen in ihn setzten. Jeder enttäuscht jeden. Das ist unser Problem, weißt du?“
  • „Nichts ist aussichtslos. Und nichts unverzeihlich, wenn du um Verzeihung bittest.“
  • „Etwas Falsches zu tun, ist viel weniger schlimm, als gar nichts zu tun.“
  • Meistens ist es dem Zufall zu verdanken, dass man das große Glück nur um Haaresbreite verpasst.
  • „[...] Individualität bedeutet Feinde. Das ist nichts Schlechtes, nicht immer. (In dieser Situation ist es sehr offenkundig ein Nachteil, das stimmt. Aber kein unerwarteter. Du wusstest, was du tust.)“
  • Es ist nicht so schwer, mit dem Strom ins verderben zu rennen. Die Angst vor dem Alleinsein reißt dich einfach mit. Schwieriger ist es, einen eigenen Weg zu wählen, einen, der dir neue Chancen öffnet und für den du ganz allein verantwortlich bist.
  • Liebe scherte sich nicht darum, ob sie sein durfte. Sie war oder war nicht. Sie ließ sich weder erzwingen noch verleugnen.

Wertung: 4,5 /7 Schreibfedern

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